Online-Suizidberatung für junge Leute
Ein Weg aus der Verzweiflung
Dass junge Leute in einer schweren Krise an Suizid denken, kommt öfter vor, als Erwachsene wahrhaben wollen. Deshalb gibt es im Emsland ein Caritas-Projekt, bei dem sich junge Menschen um andere junge Menschen kümmern.
Sie wollen jungen Leuten helfen: Caritas-Mitarbeiterin Katrin Warstat sowie die ehrenamtlichen Beraterinnen Henrike und Julia.
Ich will nur noch Stille um mich haben….ich ertrage mich einfach nicht mehr.“ Die 14-jährige Anja (Name geändert) hat das geschrieben. Tiefe Verzweiflung steckt in diesen Zeilen. Warum es ihr so schlecht geht, verrät das Mädchen in ihrer Mail nicht. Vielleicht hat sich der Freund getrennt, vielleicht gibt es Streit mit den Eltern, vielleicht Probleme in der Schule: Da türmen sich viele Sorgen zu einem scheinbar unüberwindbaren Berg auf. Und Erwachsene können das manchmal nicht (mehr) verstehen.
Henrike und Julia können es schon eher erahnen. Die zwei jungen Frauen sind beide 19 Jahre alt und gehören zum Team der Online-Suizidberatung „[U25] Emsland“, die ab Mitte August im Internet ihre Hilfe anbietet. Jeder junge Mensch unter 25 Jahren in einer schweren Krise kann dort eine Mail hinschreiben und bekommt rasch eine Antwort, bekommt Beistand und Begleitung – von anderen jungen Menschen (Siehe auch „Zur Sache“).
Auch Katrin Warstat gehört zu dem Team. Die Sozialwissenschaftlerin arbeitet bei der emsländischen Caritas und betreut das neue Projekt. Sie erzählt, dass Suizid bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen viel öfter passiert, als man glauben möchte. „Das ist nach den Verkehrsunfällen die zweit häufigste Todesursache,“ sagt sie. Etwa 600 junge Menschen bringen sich laut Warstat jedes Jahr um: aus Liebeskummer, nach Konflikten in der Familien, weil der Druck in Schule und Beruf zu groß ist, weil sie gehänselt werden – weil die Zweifel größer sind als die Zuversicht in die Zukunft. Dabei wählen deutlich mehr junge Männer als junge Frauen diesen schrecklichen Weg.
Oft gibt es vorher Signale und stumme Hilfeschreie
Oft gibt es vorher bis zu 14 Suizidversuche. Und es gibt Signale, stumme oder laute Hilfeschreie. Da kapselt sich der Junge ab, da schneidet sich das Mädchen in den Arm, da haben Jugendliche kein Interesse mehr an ihren Hobbys. Und sie sprechen davon, dass ihr Leben keinen Sinn mehr macht. „Manchmal wird gesagt, wer davon spricht, sich umzubringen, macht es nicht. Das ist Quatsch“, sagt Katrin Warstat. „80 Prozent aller Selbsttötungen werden vorher angekündigt.“ Aber sie sagt auch, dass es solche Signale nicht immer gibt.
Wie kann die Online-Beratung helfen? Für junge Leute sind das Internet, das Handy und der Computer die entscheidenden Medien, die sie jeden Tag nutzen – und die vielleicht eine Brücke in ein persönliches Gespräch bauen können. Außerdem fragen junge Menschen mit Problemen lieber andere junge Menschen um Rat, – die ihre Lebenswelt mit ihren Klippen nachempfinden können. Bundesweit arbeiten in dem Projekt 180 Berater und Beraterinnen mit. Im vergangenen Jahr gab es fast 6000 Mail-Kontakte, pro Jahr wenden sich bis zu 1200 junge Leute an das Portal.
Zu diesem Stab gehören jetzt auch Henrike und Julia. Die zwei jungen Frauen aus dem mittleren Emsland gehen mit acht Ehrenamtlichen aus der Region in diesen Tagen zum ersten Mal Online. Vier Monate lang haben sie eine Schulung gemacht, haben sich über das Thema informiert, Beratungstechniken gelernt und über die Herausforderungen in ihrer Aufgabe gesprochen. „Damit wir wissen, was auf uns zukommen kann“, sagt Julia.
Im eigenen Freundes- oder Bekanntenkreis mussten sie „Gott sei Dank“ noch nicht erleben, dass sich jemand umgebracht hat. Aber sie arbeiten im sozialen Bereich und glauben fest daran, dass Menschen menschliche Nähe brauchen – in jeder Situation. Beide absolvieren gerade einen Freiwilligendienst des Bistums und hatten dort von dem neuen Projekt gehört. „Dass junge Leute für junge Leute etwas machen, finde ich gut“, sagt Henrike. Beide hoffen, dass sie Hoffnung schenken und vielleicht Aus-Wege aufzeigen können.
Wie bei der jungen Frau, die sich mit einem Brief bei ihrer U25-Beraterin bedankt: „Die schubsen dich so sanft, dass du gar nicht peilst, wie sie dich zum Kämpfen animieren und du sie also gar nicht in die Feind-Schublade stecken kannst. Die erinnern dich an deine Träume. So kommst du selbst zu dem Schluss…..wenn ich die Party jetzt verlasse, habe ich gar nicht gefeiert.“
Petra Diek-Münchow
Quelle: Kirchenbote Osnabrück vom13.08.2017 online